Suche nach Familie

von Barbara Heinze

Als Nachkriegskind bin ich nicht in einer Familie aufgewachsen: Mein Vater war Ende des Krieges vermisst, meine Mutter alleinerziehend, die Eltern meiner Mutter sind früh gestorben, und es gab keinen Kontakt zur Familie des Vaters. Es gab also nicht die Standardsituation Vater, Mutter, Geschwister, Großeltern.

Als Kind wusste ich nicht , was Familie ist, denn es gab einige Kinder im meinem Umfeld in ähnlicher Situation, wo die Väter gefallen, vermisst oder nicht bekannt waren. Als erstes ist mir nicht das Fehlen des Vaters aufgefallen, sondern das von Geschwistern. So erinnere ich mich, dass ich als sechsjährige ganz stolz mit meiner dreijährigen Kusine an der Hand in der Schule aufkreuzte, mit der stolzen Bemerkung, das sei meine kleine Schwester. Das hat aber nun niemanden wirklich interessiert, worüber ich doch sehr enttäuscht war.

Glücklicherweise gab es bei mir eben doch Familie im weiteren Sinn: Tanten, Onkel, Cousins und Cousine. Eine Tante ist mir besonders ans Herz gewachsen, denn bei ihr habe ich zum ersten Mal und aus nächster Nähe das Baby an der Mutterbrust gesehen. Diese Lieblingstante und ihren Mann habe ich von der Gründung ihrer Familie bis zu ihrem Tod begleitet, und danach auch deren Kinder und Enkelkinder.

Kindheit und Jugend verlebte ich in einem guten Zuhause, eine liebevolle und fürsorgliche Mutter, die mich in allem unterstützte. Auch fehlte es mir nicht an sozialem Miteinander: ich war in einem Sportverein und sang in der Kinderkantorei mit. Was ich mit den Jahren vermisste, war der soziale Kontakt mit anderen Familien. Diesen zu pflegen war meiner Mutter nicht möglich, denn sie musste die Brötchen     verdienen, und Kindertagesstätten oder Ähnliches gab es nicht. Ausserdem, Kontakte mit ledigen Frauen mit Kind waren auch nicht unbedingt erwünscht.

Inzwischen bin ich längst aus dem Berufsleben ausgeschieden, hatte studiert und ein erfülltes Berufsleben. Ich habe keine eigene Familie gegründet, habe aber einen großen Freundeskreis, viele Freizeitaktivitäten, reise in der Welt herum und genieße den Ruhestand.

Erst jetzt, bei dem Thema Familie und in der Rückschau, fällt mir auf, dass ich eigentlich immer auf der Suche nach einer intakten Familie war: Alle, wirklich alle meine Freundinnen waren und sind Frauen mit Familie. Hier konnte ich verfolgen, wie die Kinder heranwuchsen, viele Familienfeste feiern, aber neben gemeinsamer Freude auch Trauer erleben. Unbewusst habe ich wohl versucht, die Defizite auszugleichen, die vielleicht doch vorhanden waren.

In meinem gesamten Bekanntenkreis bestätige ich deshalb immer wieder, wie wesentlich der Familienzusammenhalt ist, wie wichtig Großeltern immer sind, auch wenn sie  glauben, dass  sie für die erwachsenen Enkel nicht mehr gebraucht werden. Die Familie ist das Fundament, ob groß oder klein, und dafür muss man auch etwas tun! So sehen das auch meine Freundinnen/en.